Kolonie Radbod
Mit der Teufe der Zechen Heinrich Robert (1901), Maximilian (1902/03), Radbod (1905) und Sachsen (1912) entstanden auf dem Gebiet der heutigen Stadt Hamm zahlreiche Kolonien für die zugezogenen Arbeiter und ihre Familien. Nachdem im Frühjahr 1905 bei Bockum und Hövel die Schächte I und II der Zeche Radbod unter der Leitung des Bergassessors Heinrich Janssen (1864-1919) abgeteuft wurden, erwarb die Bergwerksgesellschaft Trier sechs Bauernhöfe und errichtete dort von 1906 bis 1913 eine Bergarbeitersiedlung mit etwa 1.700 Werkswohnungen. Diese waren für die zugezogenen Arbeiter und ihre Familien aus allen deutschen Landesteilen und dem europäischen Ausland bestimmt. Die Einwohnerzahl stieg innerhalb von acht Jahren bis 1913 von 2.128 auf 13.128. Architekt Karl Siebold (1854-1937) aus Bethel entwarf die Kolonie, welche die bis 1939 selbstständigen Gemeinden Bockum und Hövel zusammenwachsen ließ. In den Mittelpunkt der Siedlung gleichsam hineinkomponiert, entwarf der Leiter des Provinzialkirchlichen Bauamts der Evangelischen Kirche von Westfalen auch die 1912 errichtete evangelische Kirche.
Im Vergleich zu anderen Koloniebauten im Ruhrrevier entstanden hier erstmals nach gartenstädtischem Vorbild Einfamilienhäuser mit Gärten. Es wurden in der Regel vier Häuser auf etwa einem Morgen Land errichtet, wodurch jedes Haus einen sehr großen Garten erhielt. Eine Kanalisation war nicht vorgesehen. Der Siedlungsgrundriss war zunächst rasterförmig mit breiten Straßen und großen Grundstücken. Nach einer kurzen Unterbrechung infolge des schweren Grubenunglücks von 1908 wurde rasanter und dichter gebaut. Enge und geschwungene Wohnstraßen ohne Bürgersteige wurden zwischen größeren Sammelstraßen eingehängt. Trotz Typisierung wurde die Architektur differenziert gestaltet. So entstand eine hohe Zahl anderthalbgeschossiger Häuser in 170 verschiedenen Varianten mit Vorgärten und Hecken. Stilistisch ganz den Vorstellungen der „Heimatschutzbewegung“ entsprechend, entstanden sowohl die einzelnen Baukörper als auch die Straßenräume im Sinne einer malerisch „altdeutschen“ dörflichen Baukultur. Die verputzten und häufig mit Fachwerk gestalteten Gebäude standen meist giebelständig, vereinzelt auch traufständig zur Straße. Die Häuser hatten vier Räume sowie eine Diele und besaßen entweder straßenseitige oder seitliche Anbauten für das Vieh. Je zwei Häuser benutzten gemeinsam einen Brunnen. Auf die Wünsche der später dort wohnenden Familien wurde bei den einzelnen Ausführungen Rücksicht genommen. Durch Karl Siebold’s neuartigen Bautechniken ist es ihm gelungen, den Baupreis eines Einfamilienhauses deutlich zu senken. Dies gelang durch den Verzicht auf Sockelbildung und durch die Anwendung einer 30 cm starken Hohlwand mit möglichst wenig Bindern. So lag er unterhalb des Preises eines halben Doppelhauses oder dem Drittel eines Dreifachhauses. Sowohl der Typ des „Arbeiter-Ein-Familien-heimes“ als auch die ursprünglich ausgeprägte ornamentale Bemalung sind selten in der Geschichte des Siedlungsbaus und gelten in Westfalen als einzigartig. Obwohl insgesamt 2.670 Siedlungshäuser nach Siebolds Entwürfen errichtet wurden, haben sich nur wenige erhalten. Am Zechenbahnweg stehen noch elf Einfamilienhäuser des „Sieboldschen Typs“ aus dem Jahre 1911, die in ihrem Äußeren nahezu vollständig erhalten sind. Sie wurden 1994 unter Schutz gestellt und denkmalgerecht saniert, so dass mit dem Zechenbahnweg noch ein kleiner Straßenzug vorhanden ist, der für weite Teile der alten Kolonie Radbod typisch war.
Selbstverständlich war die Siedlungstätigkeit mit Beginn des Ersten Weltkrieges in 1914 noch nicht beendet. Solange der Bergbau florierte wurde die Siebold´sche Bergmannsiedlung nach Entwürfen weiterer Architekten sukzessive ergänzt. Bereits 1915 entwarf der renommierte norddeutsche Architekt Heinz Stoffregen im Auftrag der Bergmannsgesellschaft die erste Ergänzung an der Hammer Straße. Direkt gegenüber der Zeche zwischen Ulanen- und Detmolder Straße gelegen, entstand eine kleine Baugruppe mit 29 Wohnungen in vier unterschiedlich großen und gestalteten Häusern, unter denen der „D-Zug“ genannten Reihenhausriegel mit 16 Wohnungen dominiert.