Sammelort vor der Deportation
Ab dem 15. Oktober 1941 begannen die Nationalsozialisten mit systematischen Massendeportationen deutscher Juden in den Osten.
Als „Auffanglager“, in dem sich die zur „Evakuierung“ bestimmten Juden im Vorfeld der Abreise einzufinden hatten, dienten meist jüdische Gemeindehäuser, angemietete Säle oder Hallen. Die Inneneinrichtung im Wesentlichen aus Doppelstockbetten.
In Hamm diente eine Baracke auf dem hinteren Teil des Areals zwischen Bahnhof und Richard-Matthaei-Platz ab 1941 als Zwangsunterkunft für Juden im Vorfeld der Deportationen. Diese Baracke wurde in den 1920er-Jahren zur Auszahlung von Arbeitslosengeldern genutzt. (ungefährer Standort siehe Bild rechts)
Auf dem Gelände, auf dem sich heute das Technischen Rathaus und östlich anschließend ein Parkhaus befindet, waren ursprünglich gewerbliche Betriebe angesiedelt. Dies war unter anderen die Brauerei Mark, die bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg bestand. Gegenüber der Eilgutabfertigung des Bahnhofes entstand in den 1920er-Jahren die Hauptpost. Die heutige Gustav-Heinemann-Straße endete seinerzeit vor dem Postgebäude und mündete in die Luisenstraße.
Nach Verfügung vom 11. November 1941 (siehe unten) waren zum 16. Dezember 1941 die 78 noch in Hamm lebenden Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens zwangsweise aus ihren Wohnungen und Häusern in die Baracke am Richard-Matthaei-Platz umzuquartieren. Ihr Vermögen wurde „sichergestellt“, Haus- und Wohnungsschlüssel wurden ihnen abgenommen.
Bereits zuvor waren jüdische Familien zum großen Teil in so genannten „Judenhäuser“ zwangsweise eingewiesen worden. Hierzu gehörten u. a. das Haus Stiftstraße 6 und das Haus Bahnhofstraße 27.
Die Deportation erfolgte in drei Transporten, am 27. April 1942 nach Zamosc, am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt, jeweils über die Sammelstelle Dortmund-Steinwache. Vor der letzten Deportation nach Auschwitz am 27. Februar 1943 wurden die wenigen noch in Häusern verbliebenen Juden Anfang 1943 in die Baracke Hafenstraße 89e eingewiesen.
Gut zu wissen
Julius und Ottilie Jordan
Julius Jordan und seine Frau Ottilie Jordan, geb. Löhnberg führten ein Manufakturwarengeschäft in der Bahnhofstraße 27. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde ihre Wohnung geplündert. Das betagte Ehepaar wurde von Zimmer zu Zimmer gejagt und Julius Jordan, nur notdürftig gekleidet, wurde gezwungen, mit einem Schild "Nieder mit den Juden" durch die Bahnhofstraße über die Große Weststraße bis zum Marktplatz zu laufen. Bis zum Beginn der Deportationen war die Bahnhofstraße 27 eins der Häuser, in die Juden, die zuvor aus ihren Wohnungen verdrängt worden waren, zwangsweise eingewiesen wurden.
Foto: Das Geschäftshaus Löhnberg, Bahnhofstraße/Ecke Moltkestraße, Quelle Stadtarchiv
Die geheime Verordnung des Gestapo-Oberbereichsleiters in Unna
NSDAP Gau Westfalen-Süd
Kreis Hellweg
Der Kreisleiter - K./Sch. -
Unna, den 11. November 1941
An den Oberbürgermeister Pg. Dt. in Hamm (Westf.)
Betrifft: Unterbringung der Juden
In obiger Angelegenheit hat gestern mit dem Stadtrat Pg. Dr. Dn., dem Stadtoberbaumeister Ihrerseits und dem Kreisgeschäftsführer Pg. R. und dem Ordensjunker Pg. K. meinerseits eine Besprechung stattgefunden. Grund der Besprechung war eine Anordnung des Stellv. Gauleiters vom 31.10.41, worin derselbe die Isolierung der Zigeuner von den deutschen Volksgenossen verlangt. Die Zigeuner in Hamm sind in Baracken untergebracht, in denen auch asoziale und andere Übelbeleumdete wohnen. Das Gelände wurde von den Teilnehmern der Besprechung besichtigt und die Teilnehmer sind sich schlüssig geworden, die in Hamm ansässigen Juden durch die Geheime
Staatspolizei in die Baracken einweisen zu lassen. Der Wohnraum für die 78 noch in Hamm lebenden Juden ist in den Baracken gegeben. Die in den Baracken befindlichen z. T. förderungswürdigen Familien können in anderen Wohnungen, z. B. in den jetzigen Judenwohnungen untergebracht werden. Um das ganze Problem im Sinne des Stellv. Gauleiters schnellstens zu lösen, bitte ich, folgendes zu veranlassen:
- Die Juden, die noch ein Besitztum in Hamm haben, sind aufzufordern, innerhalb einer Frist (8 Tage) ihr Besitztum der Stadtverwaltung zum Kauf anzubieten.
- Zunächst ist eine Baracke freizumachen, in der die Juden untergebracht werden und zwar gleich welchen Geschlechts. Es ist nicht erforderlich, die Juden hier noch nach besonderen Familienverhältnissen aufzuteilen.
- Die durch die Ausweisung der Juden freiwerdenden Wohnungen sind für förderungswürdige kinderreiche Familien zu beschlagnahmen und im Einvernehmen mit dem Leiter des Reichsbundes der Kinderreichen und dem zuständigen Ortsgruppenleiter zu vermieten.
- Sollten noch einige förderungsunwürdige deutsche Familien dort wohnen müssen, bitte ich darum, dieselben aber von den Zigeunern und Juden zu isolieren.
- Die Polizei ist anzuweisen, ihr Augenmerk besonders auf diese Wohnviertel zu richten.
- Die Ortsgruppenleiter Pg. T. und Pg. 0. sind angewiesen, Ihnen bei der Durchführung der Maßnahme in jeder Beziehung behilflich zu sein. Bei den Durchführungsmaßnahmen bitte ich meinerseits den Pg. K. einzuschalten, da derselbe des öfteren mit solchen Aufgaben betraut war. Ich darf darum bitten, daß dieses Problem innerhalb vier Wochen seine Erledigung gefunden hat, um dem Stellv. Gauleiter, Pg. V. entsprechenden Bescheid zukommen lessen zu können.
Heil Hitler
gez. N. Oberbereichsleiter
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- Die Wandtafel ''Sammelort vor der Deportation'' (PDF, 2.67 MB)